Die Entfaltung der Kunst

Sprecher:

Kunst ist des Daseins tieferes Bild,
lebendiger Traumbereich,
aus dem das Leben singt.
Die Kunstgeschichte und im Erklingen die Musik
vergegenwärtigen uns dieses Bild,
das in der Seele des Empfangenden
nun als zweite Gegenwart entspringt.
Und diese gegenwärtige Präsenz
nährt sich aus der dem Kunstwerk
inklusiven Transzendenz,
wie ein Unsterbliches,
das immer bliebe,
denn ist die Schönheit eines Kunstwerks
nicht zugleich auch Ausdruck der Vollkommenheit
von Geist und Liebe!

Als deren „allegorische Gestalten“
schweben heute vom Olymp hernieder
– Aphrodite und Athene –
denn spiegeln sie nicht göttergleich
ewige Schönheit, Weisheit, Liebe wider!
Um im Leuchten ihrer Götterhülle,
licht umstrahlt in ihres Glanzes Fülle,
uns zu schenken ihre Gunst.
Sie bringen uns als Angebinde dar
ihr Wissen über eine „göttlich hohe Gegenwart“ von Kunst.


Aphrodite:

Wo Schönheit lebt und leicht mit Götteranmut schreitet,
erstrahlet sie aus Aphrodites Glanz, von ihrem Hauch gesendet.
Ich schenke ihn als Liebesglut aus meinen Himmelsblicken,
damit auch ihr den Strahl aus jenem Schönheitslichte fändet.

Athene:

O heil’ger Augenstrahl,
der uns von Zeus dereinst gegeben
– aus dessen Haupte ich entsprungen bin –
verkünde ich aus meinem Götterwissen
der ewigen Weisheit tiefen Sinn.
Der Kunst das Höchste gebend,
ins Göttliche sie hebend,
hat die „Idee“ sich mit dem „Schönen“ schwesterlich verbunden
und erst aus diesem inneren Bande ihren wahren Wert gefunden.

Aphrodite:

Für jetzt und immerdar mög’ Euch
– wenn Ihr das Schöne in der Kunst erfühlt –
ein seelenvoller Kräftestrom mit seinem Strahlenkranz erfüllen,
dann werdet Ihr – so in das Licht erhoben –
erst ganz das tiefere Bild von Kunst enthüllen!

Athene:

Um im Erkennen dann das Werk
aus seiner eigenen Mitte zu betrachten
und es mit konstruierten Reflexionen
nicht zu überfrachten.
Der Zauber und Bedeutung eines Kunstwerks
aus sich selbst erklingt,
wenn ein göttlich-schöpferischer Funke in ihm schwingt.

Griechische Skulptur
Griechische Skulptur

Aphrodite:

Wer auf die Schönheit blickt, spürt den Abglanz ihrer Seligkeit,
der wie ein Morgen-Tau auf seine Augen fällt
und aus einer ewigen Frische
auch den „Geist der Kunst“ am Leben hält.
Denn nur durch Einfühlung
kann die sensible Intention des Künstlers auch in Dir erwachen
und die erfühlte Poesie des Werkes Deinem Herzen Freude machen.

Wandgemälde aus Pompeji
Wandgemälde aus Pompeji

Athene:

Doch auch der reine Glanz ästhetischer Vollendung
vermag die himmelfreie Seele eines Künstlers zu entzünden
und mit dem „Geistigen der Kunst“
als der „Idee des Schönen“ zu verbinden.
Dies gibt dem Bilde seine tiefere Wirkung,
Gehalt und inneren Schwung
und bleibt uns bei Kandinskys Werk
als geistig-schönes „Farbenspiel der Formen“ in Erinnerung.

Wassily Kandinsky, „Ohne Titel“
Wassily Kandinsky, „Ohne Titel“

Aphrodite:

Die Hingegebenheit des Schauen
schenkt in versenkender Betrachtung erst Vollendung …

Athene:

… wie die Natur, wenn sie uns
liebe-blühender umfasst,
denn Freude am Erkennen dieser „hohen Werke“
ist reflektierte Helligkeit
und keine mühevolle Last.

Aphrodite:

Seele und Schönheit sind Ausdruck von Wahrhaftigkeit,
ewig gegen alles Sterbliche gefeit.
Ihr Glanz entfaltet sich im Kunstwerk
und überdauert Raum und Zeit.

Athene:

Der „Schönen Kunst“ liegt eine „Harmonie des Gleichgewichts“
aus diesem lichten Kräftespiel zugrunde,
die Sehnsucht, Größeres zu sein
– wie eine Blume sonnenhafter noch erblüht
wenn alles Gold des Lichtes sie durchglüht –
als ahne sie die wunder-zarte Harmonie
einer ewig schönen „Schöpfungs-Melodie“.

Aphrodite:

Ja: „Alles schenken die Götter, die Unendlichen,
ihren Lieblingen ganz“ im Leben,
denn ward nicht Raffael, dem Götterliebling,
dieses „innere Leuchten“ mitgegeben,
das er in seine sanften Bildgestalten senkte
und uns damit eine gläubige Gewissheit schenkte …

Raphael
Raphael

Athene:

… so als trüge uns in eine längst entrückte Sphäre
ein leiser, heiliger Gesang,
der wunderhaft verströmend
auch durch die hohen Werke Michelangelos ertönt
als reiner, edler „Marmorklang“.
In diesem hellen Licht lebt Kunst für immer ungetrübt
und lebt als ewig neues Leben fort,
in dem, der sie versteht und liebt!

Michelangelo, Pietà
Michelangelo, Pietà

Aphrodite:

Aus einem hohen Geiste sammelt sich im Marmorglanze
dieses Licht mit seinem hellen Schein
und leuchtet als ein schöpferischer Quell weit in die Welt hinein!

Aphrodite und Athene

Als göttliche Schwestern offenbaren wir symbolisch nur,
was sich im Kunstwerk erst in seiner Daseinsform vollendet
„aus jener Kraft, die aus Unendlichkeit hinausdrängt
und sich in Sein verschwendet“.
Wenn sich „die Liebe“ und „der Geist“
in ihrer Doppelheit verbinden
und sich der Blick zu ihrem Himmel hebt,
dann offenbart sich wie ein Zauber,
der sein Innerstes entschleiert,
was Malerei, Musik und alle Kunst belebt.

Sprecher:

Es war und ist – von Anbeginn –
die Offenbarung einer „harmonia mundi“
– wie es die Weisen uns seit jeher schildern –
wenn jenes „unvergänglich Schöne“
aus „Liedern“ aufertönt „in Bildern“,
aus tief erklingendem Verstehen,
was eine Schöpfung baut,
der diese „Lieder“ anvertraut,
aus einem Klang,
der immer neue Wunder singt,
so wie das Leben wunderhaft
in Bildgestalten reift und klingt.

„Lieder in Bildern“ – Komposition Markus Schönewolf –
„Lieder in Bildern“ – Komposition Markus Schönewolf –

Die „ewigen Bilder“, die uns lehren,
„ewige Schönheit“ zu verstehen,
wenn sie – von allem Irdischen gelöst –
so wie ein grosser Glanz durch unsere Seele gehen.

„Azur“, Ernst-Martin Heel
„Azur“, Ernst-Martin Heel

Aus einem Geist,
der auch das „hohe Werk“ J. S. Bachs erfüllt
oder sich in Zauberklängen eines Licht- und Liebes-Genius
– in Mozarts Kunst – enthüllt,
so tief beseelt, wie sie der Mensch
in seinen Tiefen auch in der Liebe und im Glück erfährt,
wenn Kunst aus ihrer „göttlichen Natur“
das Irdische und Überirdische verbindet und verklärt.

(J.S. Bach – Es ist vollbracht – aus der Kantate Nr. 159 „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“ – gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau – zu hören auf YouTube)

(Mozart – Messe in C-Moll KV 427 – Leonard Bernstein – zu hören auf YouTube)

Das „Liebestönen“,
das so unaussprechlich auch in Fischer-Dieskaus Liedern lebt,
wenn seine „hohe Kunst“ uns ins Vollendete erhebt!
Denn ist es nicht, als wolle „Er, der Herrlichste von allen“
uns durch seine Kunst verkünden:
Das „Ewig-Unantastbare“ wahrhafter zu empfinden!
Und war es nicht:
„Als hätt’ auch hier der Himmel die Erde still geküsst,
dass sie von einer „edlen Stimme“
nun immer träumen müsst’“!
Die „Lieder-Welt“ als „Welten-Klang“
von einer Stimme – unvergleichlich schön – umfangen,
darin Musik zu einem „ewigen Gesang“
im „Wunderklang der Schöpfung“ eingegangen!

Robert Schumann, „Mondnacht“
Robert Schumann, „Mondnacht“

(Schumann/Eichendorff – Mondnacht – gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau – zu hören auf YouTube)

Wie in der hohen Kunst der Callas,
die von jeher Liebe und Bewunderung errang
mit ihrem Leid durchwehten oder auf erstrahlenden Gesang,
so als trüge uns – auch hier – in eine längst entrückte Ferne
– die Welt Bellinis, Donizettis, Verdis –
ein sanfter oder bebend-furioser Klang,
der zart verströmend – wie in Violettas letzten Tönen –
sich aufschwingt bis zum leuchtenden,
doch dann ersterbenden Gesang,
der alle, die ihn je gehört, so tief bewegt,
wenn dieser „letzte Liebeshauch“
sich wie ein „visionärer Glanz“ auf unsere Seele legt.

(Verdi – La Traviata – Final Scene – gesungen von Maria Callas auf YouTube)

(Maria Callas – Konzert in Paris 1958)

Ein Glanz, der sich so leuchtend
auch in einem anderen Werke findet,
von dem die Kunst der Renaissance uns kündet.
Ein Kunstwerk, das durch seine Schönheit
Rilkes Geist so tief entzückt,
wenn er es in die „Stille einer Poesie“ entrückt
und darin seine Worte in das Reich der Fabel schweifen,
um diesen „inneren Lichtglanz“ eines Kunstwerks zu begreifen:

„Die Dame mit dem Einhorn“, Musée de Cluny, Paris
„Die Dame mit dem Einhorn“, Musée de Cluny, Paris

Denn zeigt des Einhorns zarte Geste
nicht ein stummes Sichverlieren,
wie eine Sehnsucht, die von Tieren,
die, wie es Rilke sagt:
„In Wahrheit gar nicht existieren,
die Sehnsucht doch zu sein!“
Und, um es richtig zu zitieren:
„Schon ganz allein, die Möglichkeit, es sei,
gab solche Stärke an das Tier,
das es aus sich ein Stirnhorn trieb:
Ein-Horn!
Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei
und war im Silberspiegel und in ihr“

So wunderzart wie ein Geheimnis,
das traumgebannt den Einsamen umfängt und bindet,
wenn er – in seiner Herzensreinheit –
die „Blaue Blume“ findet,
die sich nur einem Auserwählten schenkt,
wenn eine „Engelshand“ ihn lenkt.

Womit wir an das „Paradies“ erinnert werden,
wenn seine goldenen Strahlenfluten uns – schon hier auf Erden –
zu seinen lichterblauten Fernen heben,
um in der Nacht sich mit des Mondes Silberstrahlen zu verweben …

… Und leise träumt die „Blaue Blume“
vom „Zauber-Liede“ dieser Nacht,
wenn sie – so zart berührt von seinem Scheine –
zu dieser licht durchwirkten Melodie erwacht.
Ihre wundersame Nähe
kündet wie ein leiser Bogenstrich,
der über Sterne schwingt,
den wissenden Gedanken,
der alle Dinge sucht und ineinander legt
aus einer großen Harmonie,
die wie ein ferner Hauch entgegen klingt!

So sollte man in „ewigen Glockenblumen-Klängen“
leben, lieben und vergehen!

Unsere Seele ist in solchen Nächten angehalten.

Und sprachlos steht im Herzen ein Verstehen!

— Für Melanie und Markus —