„Jauchzet, frohlocket …“Erlebnis des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach
An einem winterlichen Sonntag als der Abend seine langen Schatten auf das stille Land senkte, erstrahlte im hohen Dome das Licht der Kerzen so festlich als wolle es sein Licht tief in die Herzen der Menschen senken – das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach ertönte durch den Raum.
Als wollte schon der erste Ton des Paukensolos – mächtig in aller Herrlichkeit – die dunkle Menschenwelt auferwecken, gleichsam zu einer höheren gottgewollten Welt empor heben, leuchteten die schmetternden Trompeten das strahlende „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage …“ ein, die der Chor so festlich – jubelnd aufnahm und getragen wie aus göttlichem Hauche erstrahlte nun das Licht in den Herzen der Menschen wie es einst die Seele des großen Komponisten erleuchtet hatte, von Anbeginn zu Anbeginn die Geburt eines göttlichen Kindes zu besingen.
Als atmete, bete und wehe die Musik aus einer unbekannten Weite, in der Engel ihre Flügel ausbreiten im ewigen Gesang der Cherubim, in der das Dasein selbst Gesang ist, einem Reiche aller Macht entfremdet, einer Trost verheißenden, leuchtenden Herrlichkeit, flutete der Gesang durch den hohen Dom.
War es nicht, als ströme aus der Musik zugleich eine große Kraft, als wolle sie den Menschen sagen: „O horcht in die „grenzenlose Gegenwart“ des Himmels hinein, in den wehenden Hauch dieser Schönheit“!
Man fühlte diesen Hauch in den nun einsetzenden Worten des Evangelisten: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augusto ausging, dass alle Welt geschätzet würde …“ – „einer der bekanntesten Sätze der gesamten Menschheit“ – wie ihn der Komponist Markus Schönewolf nennt – wundersam geweiht einer kommenden „hohen Gegenwart“!
„Gott spricht zu den Menschen , ehe er sie macht..“ sagt eine alte, fromme Weisheit und hatte nicht auch Maria „göttliches Wort“ in der „Verkündigung“ vernommen und sie bei der Geburt des göttlichen Kindes „in ihrem Herzen bewegt“ – die hell aufstrahlende Freude über das göttliche Kind, das die Musik so licht – tönend umhüllte oder wie es das Cinquecento in so zartem Goldton malte im Bilde Fra Angelicos, einem Bilde, durchstrahlt vom reinen Licht tiefen Glaubens, – eines Glaubens, der im Einklang Bachscher Musik zur Innigkeit religiöser Malerei aufleuchtet – so als würde hier im hohen Dome das Dichter-Wort Ereignis: „Was wir als Schönheit hier empfunden, wird uns als Wahrheit einst entgegengehen …“, eine Erkenntnis – aufleuchtend im Ausdruck der Musik – in der sich das Schöne als Wahrheit des Vollkommenen offenbarte.
„Wie soll ich dich empfangen und wie begegn’ ich dir …?“ – erhaben und rein ertönte der Bachsche Choral durch den Kirchenraum.
Als trüge der Gesang den Glanz einer ewigen Wiederkehr hob sich aus dem samtenen Dunkel der Unendlichkeit das „Wort“, das wehende Wort des Göttlichen – aber wie begegnen wir diesem Klang, diesem erwachenden Klang in der Seele, den wir doch spüren und dennoch so ratlos gegenüberstehen, dieses Übergroße, das wir nicht zu fassen vermögen? Aber hatte nicht Gott selbst dieses Übergroße ganz leise abgestreift, als er der Welt ein neu geborenes Kind gegeben hatte, ein göttliches Kind, über alle Erhabenheit groß und doch so still gereift aus einer Mutter Schoß, ein geliebtes Angesicht, so wie ein jedes Kind, das sich unserer Nähe anschmiegt, das mir Antwort gibt nach dem „Wohin“!
Das in allem Anfang schon Vollendete, das den Beginn überhöht!
Und es ertönte zart:
„Wer will die Liebe recht erhöhn, die unser Heiland für uns hegt? …“
Ja, wer vermag es einzusehen, wie ihn der Menschen Leid bewegt …“
Ein Strahlenstrom von Schönheit durchflutete die Musik als trüge sie ein hohes Gottesbild zu der Menschen Unrast und Leid, das sich wie aus segnenden Händen zu Trost verwandelte in den Klängen: „So will er selbst als Mensch geboren werden …“
Seine göttliche „Botschaft der Hingabe“ an unser Herz!
Wer so zu lauschen versteht, dessen Seele wird Frucht tragen und keine Einsamkeit wird in ihm sein; wie beschwörend ertönte diese Komposition, die der Glaube J.S. Bach’s uns verkündet: „Des Höchsten Sohn kommt in die Welt, weil ihm ihr Heil so wohl gefällt“ …
Als durchwehe die Musik eine strahlende Transzendenz des Göttlichen erklangen die „Bach-Trompeten“ gleichsam wie in leuchtenden Farben zu der nun einsetzenden Arie: „Großer Herr, o starker König, liebster Heiland, o wie wenig achtest du der Erden Pracht …“ – ein aus tiefem Glauben getragener musikalischer Hymnus an den erhabenen Gottessohn, den Herrscher der Welt, der herab gestiegen- und Mensch geworden ist, der in „harten Krippen schlafen muss“, ein Geschehen, wunderhaft von einer stillen Schönheit umfangen, als habe die Ewigkeit selbst diese Schönheit über das Kind ausgespannt. Und die Mutter trug diese „Ewigkeit“ so still und hehr in ihrem Herzen, als wolle sie sagen: „Ich bin gekommen, euch zu beschenken“!
Die Seele des Komponisten hatte dieses Geschenk aufgenommen, ein Geschenk aus dem seine Tiefen erbebten, aus dem die Fluten der Musik das Heilige selbst hörbar machten.
Ist es nicht ein „musikalisches Heiligtum“ für uns alle, aus dem das Wunder, das Vertrauen, die auf erblühende Liebe wie aus einem Sternenwehen zu uns kommt! Wurde die Musik J.S. Bachs nicht eine tönende Darstellung des Kosmos genannt, eine Musik, die die Ordnung des Kosmos wider spiegele, die „heilige Ordnung“, die in den Sternen wohnt und nun in diesem herrlichen Oratorium wie eine liebende Stimme erschallt!
Als wolle die nun einsetzende „Sinfonia“ dies bestätigen – diese Verschmelzung göttlicher und menschlicher Welt – ertönte zart, wie von einem Silberstift gezeichnet, eine so überirdisch schöne von Oboen, Flöten und Streichinstrumenten gespielte Melodie, seraphisch dahin fließend und die dunkle, irdische Nacht der Hirten erhellend, als solle aus dem schimmernden Glanze der Musik das wunder hafte Erscheinen des Engels angekündigt werden, der zu den Hirten auf dem Felde die Worte sprach: „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt David“.
Als ob aus der Musik die aufstrahlende „Verkündigung“ des Engels neu geboren würde, entrückt und doch so wissend darum, dass erst eine Begegnung mit der „ewigen Liebe“, eine geistige und im Tiefsten auch emotionale Erfüllung unseres Lebens ermöglicht, vollendete sich die Musik, so als ob die Seele betete, dem Göttlichen zu begegnen.
Ach, die Seele des Komponisten war von Anbeginn wie von heiligen Händen gesegnet. War es nicht, als habe Gott ihm seine Hände aufs Haupt gelegt und gesagt: „Du bist mein“! – Dieses „heilige Schweben“, das seine Musik atmet, sein Geist, der um die stille Gegenwart des Göttlichen weiß – es tönt zu uns aus seiner Musik!
„Heiliger Apostel“ wurde er genannt, der dreizehnte, ein Erweckter!
Wie beschwörend hatte J. S. Bach eine andere Arie komponiert: „Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir …“.
Bach kannte die Welt der Mystiker, er wollte die Menschen mit seiner Musik zu Gott führen, er wusste um die Erfahrungen der Heiligen und um die Hilfe der Engel, er wusste auch – wie der Theologe Walter Nigg es einmal formulierte – „dass der Christenheit etwas ganz Zentrales verloren zu gehen drohte. Es schien ihm, die Engel würden die Menschen langsam verlassen, etwas, dem sich Bach mit seinen vertonten Gebetsworten „Bleibt ihr Engel, bleibt bei mir …“ geradezu entgegen stemmte“. Bach spürte, dass der modernere Mensch nicht mehr mit den Engeln in einer Verbindung stand, dass er die erhabene Schwingung für das Übernatürliche verlor. Vielleicht will seine Musik uns sagen: „So muss es klingen – voll ergreifender Innigkeit – wenn die Engel ihre Botschaft an die Menschen verkündigen!“
Denn spüren wir nicht in seinen von Hingabe an das „göttliche Wort“ getragenen Werken, dass sein tiefstes Sein Durchdringung und ethisches Verständnis von „Musik und Gotteswort“ ist, aus „ewigem Hauche“ erleuchtet und getragen!
Und muss nicht jede Generation den Gehalt dieser Überlieferung und die Bewahrung eines religiösen und kulturellen Erbes neu erfassen, sich diesem Reichtum der Musik und aller Künste, der religiösen Überlieferung, der Literatur und der Erkenntnisse großer Geister immer wieder neu annähern!
Eine Gefährdung liegt zugleich darin, diese Kenntnisse, diese „Sprache des Geistes und der Seele" zu vernachlässigen, doch ein gemeinsames Band ist spürbar, wie es uns Menschen aus den Aufführungen der Werke J.S. Bachs umspannt, dem immer mitschwingenden Resonanzboden seines „inneren Liedes“, empor gestiegen aus der magischen Kraft eines Seelengrundes, die stellvertretend auch für jeden Menschen in der lebenslangen Suche nach einer Sinnfindung und einer Suche nach Gott zum Ausdruck kommen könnte.
Diese Einheit von „Welt und Überwelt“, sie lebt in den Menschen – diese Ahnung erfüllte nun die von der Musik wie auf Flügeln getragene Seele des Zuhörers. Aus den Klängen der erhabenen Musik tönte die Glückserinnerung aus seinen jungen Jahren, diese vertraute Musik, die die jubelnden Tage seiner Jugend erfüllt hatte. Ach, das große Glück ist immer jung, denn wächst es uns nicht immer wieder entgegen in jedem neuen Kinde!
Von der Empore ertönte nun: „So geht denn hin, ihr Hirten geht, dass ihr das Wunder seht: Und findet ihr des Höchsten Sohn in einer harten Krippe liegen … …“
Das Wunder als ein Zeichen verstehen (!) – wie ein Vermächtnis tönten diese Worte von der Empore herab – Worte, die uns sagen wollen, dass das Wunder „Mensch“ geworden ist!
Und entspringt daraus nicht alles, die Würde des Menschen, die Liebe und seine Ahnung des Unendlichen“?
Das Unermessliche, das ein Geheimnis bleibt.
Doch das „Geheimnis“ lebt auf wunder hafte Weise auch in mir, es ist da, ich kenne seine Daseinsform nicht, aber es offenbarte sich immer wieder als „innere Lichtgestalt“ in der Seele des Menschen, es spricht zu ihm in der Ahnung, der Kontemplation, in mystischer Schau, es ist da, wenn ich diesem wunder haften „Geheimnis“ begegnen kann, in meinem Denken, in meinem Fühlen, es weht aus der „Verkündigung“ der Musik J.S. Bachs – und es lebt als etwas wunderbar Grosses in meiner Seele: Das Gottvertrauen!
Der lichtvolle Anker im Dunkel des Ungewissen.
Getragen wie auf einem goldenen Strahlenstrom ertönten nun die Worte des Evangelisten: „Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen …“
Als wollten die Engel – wie eines „Glückes Hauch“ – den Menschen sagen: „Lasst dieses „Glück“ nicht vorüber gehen, empfindet aus dieser geistigen Schau die Schönheiten des Gegenwärtig-Wirklichen wahrhaftiger im Bewusstsein des göttlich-schöpferischen Hintergrundes, aus dem die Welt und ihre Geschöpfe hervor gegangen ist, erlebt die himmlisch-irdischen Paradiese in vertiefendem Sinne,
versteht eure eigene schöpferische Wesenhaftigkeit aus dem Gleichnis-Bilde eurer Kunstwerke, aus den Erkenntnissen eurer Wissenschaft und begreift, was es bedeutet, das Friedensglück einer von Gottes Geist durchwirkten Welt in ihrer unendlichen Schönheit zu erleben“!
J.S. Bach hatte aufgezeigt, was eine „schöpferische Wesenhaftigkeit“ vermag. Sein lauschendes „Lied“, sein waches „Gebet“, die als wehender Hauch des Göttlichen aus der Komposition seines „Weihnachtsoratoriums“ aufleuchten, sie ertönten als herrliches „Gleichnis-Bild“ dieser schöpferischen Wesenhaftigkeit des Menschen, das stand dem lauschenden Zuhörer nun so klar vor Augen und seine Seele erstrahlte im Widerschein dieses Glanzes.
Getragen wie auf den Schwingen eines sanften Sieges ertönte nun die Musik zu den Worten des Evangelisten: „Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander:
Choral: „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat“.
Als seien die aus Lieben und Leiden erfüllten Tage des göttlichen Kindes schon voraus geahnt, ertönten die Worte des Sängers: „Er hat sein Volk getröst’, Er hat sein Israel erlöst. Die Hülf aus Zion her gesendet und unser Leid geendet. Seht, Hirten, dies hat er getan. Geht, dieses trefft ihr an“!
Die Töne malten gleichsam die Schönheit eines weit über Irdisches hinaus wachsenden Trostes, eine Schönheit, dem sich der sonst so verwehrende Himmel öffnete – hehr ertönend, Kraft spendend, mild und tief.
Doch nicht nur die Hirten, auch die Weisen aus dem Morgenlande hatten den Stern gesehen, den „Glanz, der alle Finsternis verzehrt …“ – dieser Glanz, er war auch in ihren Herzen aufgegangen, sie fielen nieder und beteten das Kind an und es erklang – zart und licht wie ein Gruß – der Choral: „Ich steh an deiner Krippen hier, O Jesu, du mein Leben. Ich komm und bring und schenke dir, was du mir hast gegeben, Nimm hin! Es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel’ und Mut, nimm alles hin, und lass dir’s wohl gefallen“.
Der warme Glanz dieser kunstvoll-schlichten Weise atmete die Frömmigkeit alter Kirchenlieder – ein aus sanfter Demut und Vertrauen gewebter Glanz, der diesen Choral bestimmte, ein Gleichnisbild, das alle zeitliche Distanz überwindet, das Geschehnis gleichsam in die Gegenwart, in die Seele des Menschen versetzt, als höbe sich ein Schleier vor dem Ewigen und Alten.
Aufleuchtend wie eine Hymne an den „Hüter der Welt“ vereinten sich am Schlusse des Oratoriums die Stimmen von Sopran, Alt, Tenor und Bass zu innerer Kraft und Ruh in dem Gesang: „Was will der Höllen Schrecken nun, was will uns Welt und Sünde tun, da wir in Jesu Händen ruhn?
Der folgende Choral – ein von aller Last befreiter „cantus firmus“ – gab die Antwort: „Tod, Teufel, Sünd’ und Hölle sind ganz und gar geschwächt. Bei Gott hat seine Stelle, das menschliche Geschlecht“.
Die Gnade, der große Bogen, der sich vom Himmel bis zur Erde spannt, tönte als Verheißung wie ein hohes Gebet, das immer wieder aufsteigt und sich neu erschafft aus dem Geiste dieser Musik.
„Musik und Gotteswort“ – sie haben ein gemeinsames Band aus dem die unendlich „strahlende Ordnung“ des Himmels aufleuchtet“ – flüsterte leise der Zuhörer.
Leuchtete sie in diesem glücklichen Augenblick nicht auch tief in seine Seele!
Und es war, als formten seine Lippen wie von selbst die Worte:
wirst du reiner sein und eins mit ihr.
Und fühlst tief innen Ewiges, das immer bliebe.
Es hat auch einen Namen:
L I E B E !