Leben – Liebe – Todim Spiegel von Dichtung

Die Frage, was unser Leben, unsere Gedanken, unsere Seele bewegt und dies in seiner Bedeutung zu erkennen, führt uns hin zu den drei großen Mächten unseres Lebens: Liebe, Eros, Tod!

Ein Thema, das herausfordert, selbst, wenn man sich der dichterisch einfühlsamen Äußerungen und Erkenntnisse der Großen des Geistes hilfreich bedient, ein Thema, das zu allen Zeiten Menschen zum Nachdenken angeregt hat: den Wissenschaftler, Künstler, Philosophen, den Schriftsteller und – wie gesagt – den Dichter – doch steht nicht gerade der Dichter gleichsam wie ein „Stern“ am strahlenden Firmament des Lebens – und leuchtet mit seinen Worten bis in die tiefsten Tiefen!

So wird der Dichter in seinen Aussagen zugleich zum Repräsentanten von Erkenntnis und Humanität!

Repräsentanten in diesem Sinne waren im 18. und frühen 19. Jahrhundert Goethe, im frühen 20. Jahrhundert Rilke.

Im Werke beider kommt den eingangs genannten großen „Erschütterungsmächten“ eine besondere Bedeutung zu.

Diese beiden Dichter seien jedoch nur beispielhaft genannt, denn das Geheimnis von „Leben, Liebe und Tod“, ihr tieferes Wesen zu ergründen, versuchten viele und jeder trug dazu seine ganz besonderen, persönlichen Gedanken und Deutungen bei.

Zum elementaren Grund unserer Lebens kommt Rilke mit einem Gedicht „Eros“, das bis zum Urgrund menschlicher Existenz vordringt.

EROS

Masken! Masken! Dass man Eros blende.
Wer erträgt sein strahlendes Gesicht,
wenn er wie die Sommersonnenwende
frühlingliches Vorspiel unterbricht.


Wie es unversehens im Geplauder
anders wird und ernsthaft … Etwas schrie …
und er wirft den namenlosen Schauder
wie ein Tempelinneres über sie.


O verloren, plötzlich, o verloren!
Göttliche umarmen schnell.
Leben wand sich, Schicksal ward geboren
Und im Innern weint ein Quell.


Das Bild eines „weinenden Quells“ mutet an wie das „Urbild einer Traurigkeit“ – als einer ewigen Gestalt des Menschen wie ein platonisches „Urbild des Leides“, das nur durch ein anderes Urbild seinen erlösenden Aufschwung erlebt, durch eine die Seele reinigende Liebe wie sie der Eros durch seinen dionysischen Charakter nie erfährt.

So lange dem Menschen dieses Glück einer reinen Liebe nicht widerfährt, wird es aus seiner Seele tönen: „Lascia ch’io pianga“ – Oh lass mich weinen!

(Händel – Lascia ch’io pianga – gesungen von Magdalena Kozena auf YouTube)

Vielleicht ist der Eros die Zusammenfassung aller Kräfte im Menschen, der seinen Sinn in sich selbst trägt und dadurch – wie ein Prinzip – auch durch die Zeit nicht zerstört werden kann. Der Eros, gesehen als ein Auftrag der Schöpfung, der im Menschen bildend wirksam wird, ein metaphysisches Potenzial der Welt, das in diesem Sinnzusammenhang die Frage aufwirft, die Rilke immer ein besonderes Anliegen war: Was bedeutet das „Sagen der Dinge“ , d.h. was besagt die Existenz des Eros für uns Menschen.

Die naturhafte Fülle des Eros deutet Rilke als ein Geschenk der Götter.

„Trinkt ihr Augen, was die Wimper hält, vom goldenen Überfluss der Welt“ lässt Gottfried Keller den Menschen jubeln beim Anblick der Schönheit der Welt, doch der Eros dringt in andere Tiefenschichten, er erfasst den Menschen mit all seinen Triebkräften wie ein „namenloser Schauder“ … Und im Innern weint ein Quell“ …

Rilke will damit sagen, der Eros allein genügt nicht, es „weint im Innern“ des Menschen, wenn er diese Kraft des Eros nicht fortentwickelt zu einer Seelenkraft, der Kraft der Liebe, die weit über eine sich nur im Begehren verzehrende Liebeslust hinausgeht.

Das Leben verlangt also mehr vom Menschen, nämlich sein Liebespotenzial zu entwickeln und auszuschöpfen, denn der Mensch mit seiner Seele lebt nicht nur in einer „äußeren Welt“, die Seele lebt auch in ihrer inneren Welt, in „einer Landschaft der Seele“, um sich darin frei nach ihren Möglichkeiten zu entfalten.

Ein nur auf das Dasein reduziertes Leben im Diesseits findet in sich selbst kein Ziel, keinen Aufstieg, es bedarf vielmehr eines Erkenntnisfortschritts, der diese Lebensbewegung erfüllt und erst in der inneren Annäherung durch die Liebe zu einem anderen Menschen ihr höchstes Glück findet.

„Wir haben wo wir lieben nichts als das: Einander lassen. Einander halten ist nicht schwer und ist nicht erst zu lernen. Wer kann das halten, was sich selbst nicht hält“.

Verweisen diese Worte Rilkes nicht zugleich auf etwas, das uns „halten“ könnte, gleichsam auf eine metaphysische Prämisse, die etwas Überweltliches miterfasst, das etwas in das Dasein einführt, das Heidegger das „Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden“ bezeichnet, eine uns innewohnende Transzendenz, die uns im Lieben erfasst, verwandelt und verzaubert!

Aus diesem Geist vollendeter Harmonie und Schönheit eines Liebesempfindens scheint das Gedicht Friedrich Rückerts entstanden zu sein:

Widmung

Du meine Seele, du mein Herz,
du meine Wonn’, o du mein Schmerz,
du meine Welt, in der ich lebe,
mein Himmel du, darein ich schwebe,
o du mein Grab, in das hinab
ich ewig meinen Kummer gab!


Du bist die Ruh’, du bist der Frieden,
du bist der Himmel, mir beschieden.
Dass du mich liebst, macht mich mir wert,
dein Blick hat mich vor mir verklärt;
du hebst mich liebend über mich,
mein guter Geist, mein besseres Ich!


(Schumann – Widmung – aus „Myrthen“ op. 25 – gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau)

In einer erleuchteten Intuition hat Robert Schumann dieses Gedicht in einer musikalisch verfeinerten Sensibilität und dem leuchtenden Aufschwung eines emotionalen Erlebens erhöht und unsterblich gemacht.

Das Spannungsfeld zwischen Eros und Liebe steht uns in aller Deutlichkeit in einer dämonischen Figur aus der Welt der Literatur und Musik vor Augen, denn

was die Welt auch Liebe nennt und was nichts weiter ist, als Tändelei und oberflächliches Begehren, ist in einer Figur präsent, die – geradezu paradox – als Repräsentant höchster Liebesfähigkeit, Verführungskunst und Liebeskraft besungen, bedichtet, beschrieben wurde und wird: im „Don Juan“!

Vor allem Mozart hat durch die „Kunst der Musik“ den Charakter und die spannungsvollen Liebesbeziehungen dieser dämonischen Gestalt durchdrungen in seinem „Don Giovanni“, einer Oper, aus der vor allem die tragische Gewalt des Eros tönt.

Es tönt daraus zugleich das allgemeine und allgegenwärtige „Prinzip des Eros“, eines Prinzips, welches das ganze Leben des Menschen durchzieht als ein „Jubeltraum der Ekstase“, wie ihn Mozart so musikalisch genial als befreiende Kraft eines exstatischen Aufschwungs komponierte, ein Traum der seine letztendliche Erfüllung jedoch erst fände im Jubel einer „emporsteigenden Liebe“. Deshalb auch scheitert „Don Juan“ als „liebender Mensch“, während er als „Prinzip der Sinnlichkeit“ triumphiert!

Studie zu Don Juan

Wie hält ein Gott des Elementes Schäumen auf,
das wie ein Wirbeltanz der Lust aus Liebesdrange bricht
und aus sich selbst erglüht,
als ob ein Blitz aus Zügellosigkeit entflammte,
der sich aus Inbrunst schwellend nährt und nie verglüht.


Taumelnd in Feuers Wogen, die ein Dämon nur gegeben,
berauschet seines Herzens Drängen wie betörender Gesang,
aus seinem Glanze strahlet nur Verführung,
seiner Jugend Kraft und Schönheit ist Erbeben.
Doch voll gesogen nur aus eigenem Lebensbrausen,
wird er kein Liebender, denn er ist Nachtgebannter,
der unermüdlich sich verschwendet
in tausendfaches Spiel und Irreführung.


Gefangener seines ewigen Begehrens,
sucht er sein Paradies nur im Genusse
und spiegelt nur aus leeren Händen,
was er anzubeten scheint, doch nicht besitzet: Liebe.
Als Eingeweihter in die Künste allen Schmeichelns und Verehrens
ist er verwoben doch dem Wirbel seines Lebens nur
und seinem Drange,
zu erglühen in allnächtiger Umarmung immer neuer Siege.


Er lacht der Schönheit Segen zu,
die schöner noch aus seinem Atem blüht,
die sich ihm schmiegt, von seinem blick verzaubert,
und die er, wie aus Morgenglanz, in seinen Himmel zieht,
doch dann verstößt, weil seine Lust nur flüchtig ist
und ruhelos sich selbst entzaubert.


Ach, wenn aus göttergleicher Jugendkraft
Und allem Pochen eines kühnen Blickes
Natur sich selbst in einem Götterbild verklärt,
enthüllet ein verschwiegener Wille,
der durch Wesenhaftes geht,
dass sich die Welt aus allem, was sich ihr entringet,
Geist oder Sinnlichkeit erfährt.


Leben also, dass sich durch alles, sei es Geist – der faustische Geist – oder sei es Sinnlichkeit – die wesensmäßig sinnliche Getriebenheit – existentiell erfährt.

(Mozart – „Don Giovanni“ – Film – Dirigent: Wilhelm Furtwängler – Salzburg 1954)

(Goethe – Faust I – Inszenierung: Gustav Gründgens – Düsseldorfer Schauspielhaus 1954 – Audiogesamtaufnahme)

(Goethe – Faust I – Pakt Mephisto/Faust – Will Quadflieg und Gustaf Gründgens)

So trägt uns diese im Innersten unheimliche Welt durch das Meer der Zeit und ihr Kurs ist Ewigkeit?

Wenn wir diese als Ausdruck des „ewigen Seins“, aus der alle Entwicklung hervorgegangen ist, verstehen, das uns in eine Zeit- und Raumferne hineinsaugt, könnte diese Aussage überzeugen, denn betrachten wir uns nicht vor allem als ein Geschöpf Gottes, des Ewigen und Unvergänglichen, dessen Allmacht den menschlichen Bereich übersteigt und dessen Allgüte uns trägt?

Es sind sicher alle stammesgeschichtlich entwickelten Formen der Evolution in einen ganz bestimmten Rahmen hinein gestellt in ewiger Bewegung und weiteren Formung, doch fragt man beim vergänglich Seienden nicht zugleich auch nach dem Festen, dem Bleibenden, dem In-sich-Beruhenden?

Doch wer vermag die „Grenze zum Göttlichen“ zu überschreiten und dessen unzugängliche Tiefe zu begreifen, denn befinden wir uns nicht alle zwischen Sein und Nichtsein, getragen von der Hoffnung einer „ewigen Liebe“!?

„Der reine Bezug“ wie Rilke ihn nennt, der über die Vergänglichkeit erhaben ist und die äußerste Möglichkeit seines Daseins erst im Vertrauen auf einen

allgemeinen, größeren Zusammenhang findet, wie es das folgende Gedicht ausdrücken möchte.

Dunkles Vertrauen

Der Mensch nur in grenzenloser Weite – ist frei!
Wer hilft ihm, weist ihm die Richtung?
In vergänglichen Wesen lebt unvergänglich der Geist,
die Ursubstanz, die in alles verwoben, immerzu kreist,
im kleinsten Kristalle, in des Universums brausendem Tanze.
Lerne, o Mensch, die Chiffreschrift lesen
Und lerne, zu staunen!

Lehrt uns diese „Chiffreschrift des Göttlichen“ nicht dieses „Staunen“, die “Liebe zur Welt“ als eine umfassendere Form der Liebe mit dem – trotz allen Übels in der Welt – dem Menschen eingeborenen Streben nach Vollendung und Harmonie, wie Goethe es so erhebend formuliert:

„Sofort nun wende dich nach innen.
Das Zentrum findest du da drinnen,
woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen:
Denn das selbständige Gewissen
ist Sonne deinem Sittentag.“

Diese Aussage zeigt, dass sich der Mensch zum Guten entscheiden kann und diese erhabene Idee vom Wesen der Welt zu erkennen vermag, da er in der Verantwortung einer Schöpfungsidee lebt, aus dem er als Wesen der Natur entstanden ist.

Es geht also nach einem anderen Maß – wie Rilke es formuliert – einem Maß, das uns die Schöpfung vorgibt als ein zentrales Gesetz menschlicher Existenz, das sich nicht dahin verstehen lässt: Der Himmel hat zu halten, was man sich von ihm verspricht!

Es geht nach einem anderen Maß!
Vor diesem Hintergrund sind die Worte Rilkes zu verstehen:
„Wer spricht von siegen? Überstehen ist alles!“
Überstehen im Strom des Lebens, im Bewegten und Chaotischen?

Eine Frage, die uns vor allem die schöpferische Kunst beantworten könnte, denn ist es nicht die Kunst und hier vor allem die Musik, die durch eine verfeinerte „Kunst der Übergänge“ bewegte (Klang-) Massen zu formen vermag, in eine Synthese bindet, die zu einer unendlichen Melodie wird, zu einer Lebensmelodie, zur Idee eines Gesamtkunstwerkes, wie sie ihren vollendeten Ausdruck findet bei Bach, bei Beethoven, bei Mozart und in Rilkes „Duineser Elegien“ in das Credo mündet: „Erde, du liebe, ich will! Namenlos bin ich zu dir entschlossen!“

Eines in seinem tiefsten Wesen vorbehaltloses Bekenntnis zum Sein!

Goethe, der den Ausspruch tat: „Die Tonkunst ist das wahre Element, woher alle Dichtungen entspringen und wohin sie zurückkehren“ traf mit seinen Worten den Kern dieses „gleichnishaften Liebesanspruchs“, dieser – in einem höheren Sinne – zu uns tönenden „Melodie des Göttlichen“, aus der auch das Credo Rilkes tönt!

All diesen existentiellen und überexistentiellen Zusammenhängen fügt sich auch ein Wort Martin Bubers ein: „Begegne der Schöpfung mit deinem ganzen Wesen und du begegnest Gott“.

Gott als „Seele der Schöpfung“ – „beseelte Schöpfung“, so möchte man es verstehen, so dass sich daran der Gedanke anschließt: Die Seele ist ihrerseits etwas zugleich Überindividuelles, in dem sich der Mensch vorfindet und er versucht zeit seines Lebens, diese ungreifbare „Wirklichkeit der Seele“ greifbar zu machen, in dem er diese Wirklichkeit in die gedeutete Welt einbezieht, diese Wirklichkeit auf das Gute ausrichtet, das Leben selbst auf das Gute ausrichtet als ein Ideal, das aus diesem Impetus selbst tiefe, lichtlose Nacht zu bezwingen vermag.

Dies möchte das folgende Gedicht verdeutlichen, das in seiner zweiten Strophe das hoffnungsvolle Fühlen vertieft im Widerklang des „göttlichen Funkens“.

Leben

Leben schreitet wie aus namenlosem Dunkel hin zu Licht.
Unerkanntes, das aus Räumen kommt, durchdringet,
einer frühen Blüte gleich, die Frost bezwinget,
auch in inniger Beschwingung dein Gesicht.


Wie aus fernen Träumen, die verblassen,
senkt sich Tiefe aus der Höhe ganz
und im stürzenden Erfassen
spürst du, wie Geheimnis, eines Gottes Glanz.


In Rilkes „Duineser Elegien“ verbinden sich Reflexion und eine poetisch- visionäre Schau zu einem Abglanz reflektierter Helligkeit eines „überwirklichen Raumes“.

Es ist die eigentliche Wirklichkeit, die im menschlichen „Weltinnenraum“, wie Rilke ihn nennt, aufleuchtet, denn die Welt, die ganze Schöpfung, waren für Rilke ein von einem Schöpfer – schon als Idee – Gegebenes und seine Worte: „Erde, das ist es, was du willst, du sichtbare: Unsichtbar in uns auferstehen“! ist für ihn die Überwindung des Unüberwindlichen, die erst durch das lebendige Geschehen einer „Auferstehung im Menschen“, im Erblühen des innerlich Erschauten in der Seele des Menschen, zur Erfüllung kommt.

Dass sich darin eine mystisch-imaginative Anverwandlungskraft ausdrückt, war Rilke bewusst, wie es aus seinen Worten aufleuchtet:

„Dass es ein Göttliches binde,
hebt sich das Wort zur Beschwörung,
aber, statt dass es schwinde,
steht es im Glühn der Erhörung
siegend und unversehrt.
Aus unbeschreiblicher Verwandlung
stammen solche Gebilde …
Hier ist Magie.
In den Bereich des Zaubers
scheint das gemeine Wort hinaufgestuft“.

Dem Gedanken, dem Wort, wird also die magische Kraft eines Weltverständnisses zuerkannt – geboren aus einer Weisheit, die in vollkommener Annäherung die Stimme des Unendlichen vernimmt, „die unterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet“ wie Rilke sie nennt.

Man denkt an die Mystiker, die „im vollen Kelche ihres Innern“ Dinge spiegelten, die nicht nahe sind und dennoch die strahlende Kraft einer mystischen Einheit des Weltganzen widerspiegeln.

Und es schlägt sich der Bogen vom Mystiker zum naturwissenschaftlichen Denker, denn Albert Einstein und Max Planck, zwei der größten Denker des 20.

Jahrhunderts, wussten um diese Zusammenhänge, sie, die einzudringen versuchten in das, was „die Welt im Innersten zusammen hält“.

Die Worte Albert Einsteins: „Und so wurden die Erkenntnisse der Wissenschaft für manchen Großen unter uns zur Geburtsstunde des Glaubens“ korrespondieren mit der Aussage Max Plancks: „Religion und Wissenschaft bedürfen einander. Für die eine steht Gott am Anfang, für die andere am Ende alles Denkens“.

Man möchte diese Verbindung geradezu als gleichnishaft – verwandte Bereiche bezeichnen, aus einem Sinn geboren, der den Geist – gemeint ist die geistdurchwirkte und dem Menschen in den Naturgesetzen erfahrbare Wirklichkeit – mit der Materie verschmilzt, d.h.: Geistige und materielle Wirklichkeit bilden schöpfungsmäßig eine untrennbare Einheit.

Der Physiker Werner Heisenberg hat in einem Manuskript von 1942 darauf hingewiesen – wie seine Tochter Christine Mann, geborene Heisenberg, ausführt –, dass die Grundlage unserer Welt, das heißt, Materie, nicht das sei, was man sich darunter vorstelle. Materie sei aus ungeheuren Energie-Konzentrationen entstanden, die sich zu Materie verdichtet haben, diese Energie-Konzentrationen gehörten einer größeren Struktur an und diese Struktur sei etwas Geistiges.

Seit Einstein wissen wir, dass diese Möglichkeit einer Umwandlung von Materie in Energie und von Energie in Materie erfolgen kann, da beide dasselbe, das heißt identisch sind. Dasselbe ist also in beiden Erscheinungsweisen möglich, was wunderhaft erscheinen mag, aber offensichtlich Ausdruck dieser geistigen Struktur ist. Die Erkenntnisse der Quantenphysik sagen uns: „Materie ist eine Erscheinungsform des Geistes!“

Peter Seewald weist darauf hin, dass bei „der Erbinformation in der sogenannten DNA, die vor Urzeiten für das gesamte Leben geschrieben worden ist, d.h. in der komplexesten „Maschinerie“, die die Wissenschaft bisher im Universum entdeckt hat, nämlich dem menschlichen Gehirn, bereits bei der Befruchtung der Eizelle der Mutter, die gesamte Information mit diesem komplexesten „Computerprogramm“, des menschlichen Gehirns im ersten DNA-Makromolekül des ungeborenen Lebens entsteht und gespeichert ist“.

Dieses zeigt schlicht Grenzvorstellungen unserer Vorstellungskraft auf.

Wir wissen nur, dass Information immer etwas Geistiges ist, d.h. es gibt keine ungeistige Information, aber wer hat eine derart geistige und zugleich sinnvolle Information hervorgebracht, welche Allmacht verbirgt sich hinter diesen „unbegreiflich hohen Werken“, wie Goethe sie genannt hat und wer begreift die Größenordnungen des Universums: „das – wie Peter Seewald weiter ausführt – aus schätzungsweise 100 Milliarden Galaxien besteht, dass sein äußerster Horizont etwa fünfzehn Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sein könnte und dass allein unsere Galaxie, in der unsere Erde kreist, mindestens 100 Milliarden Sterne zählt und dass bei alledem diese Welt und das Weltall paradoxerweise im Wesentlichen aus Nichts bestehen, denn der Raum, den ein Atom einnimmt, wird nur zu einem Billiardstel vom Atomkern ausgefüllt, und die Hülle außen herum, in der die Elektronen sausen, hat faktisch keine Masse. Alles, was aus Materie besteht, ist damit seltsamerweise auch irgendwie leer“.

Ist daraus nicht überzeugend abzuleiten, dass die Welt, die der Mensch schließlich nicht erschaffen hat, in Beziehung zu einer überweltlichen, überintelligenten Allmacht steht!

Die gestaltende Kraft dieser Gesetzlichkeiten bestimmen zum Beispiel auch die Verhaltensweisen der Zugvögel, des wandernden Lachses oder des Schmetterlings, der die Lebensformen seiner Eltern nicht kennt und dennoch nach ihren Werdegesetzen lebt.

Diese Gesetze als Ausdruck eines „geistigen (Lebens-) Prinzips in der Natur“ reichen bis in die unbelebte Materie, zum Beispiel bis in den Kristall, der sein Werdegesetz geometrisch verwirklicht.

Das Transzendente im Sinne des Übernatürlichen zeigt sich in der Verwirklichung eines Geistigen in allen Gestaltwerdungen der Natur, den Pflanzen, den Tieren bis hinauf zum Menschen, in dem das Geistige sich seiner selbst bewusst wird.

Thomas Mann hat dies besonders schön ausgedrückt mit seinen Worten: „Eine hohe Begegnung von Geist und Natur auf ihrem sehnsuchtsvollen Weg zueinander: Das ist der Mensch“!

Eine Aussage, die überzeugt, denn ist nicht der denkende Mensch, als ein Wesen der Natur, im Gedanken, dem Geistigen, Eines mit dem Gedachten, also unzertrennliche Einheit!

Über dem Geistigen steht jedoch eine andere noch höhere Ebene: Die Liebe!

Goethe hat es so ausgedrückt:

„Wir streben nach dem Absoluten
als nach dem allerhöchsten Guten,
ich stell’ es einem jeden frei;
doch merk’ ich mir vor allen Dingen,
wie unbedingt uns zu bedingen,
die absolute Liebe sei“.

Worauf gründet diese Gewissheit Goethes, dass nicht das „Absolute“, wonach wir streben, d.h. die absolute Idee und auch nicht des „allerhöchsten Guten“, sondern die „absolute Liebe“ das unbedingte und unabdingbar Höchste sei?

Es ist sicher nachvollziehbar, dass nicht der kalte Atheismus oder der öde Materialismus, der nur den toten Stoff, die Materie, als Höchstes gelten lässt, eine Welt- und Menschendeutung überzeugend und Sinn erfüllend stillen kann.

Das würde allein schon bei der Deutung von Kunst, bei dem Geheimnis des schöpferischen Genies versagen, die ohne eine metaphysische Extrapolation über die diesseitige, menschliche Welt hinaus nicht denkbar wäre.

Das Christentum sieht diese von Goethe apostrophierte „absolute Liebe“ in Gott und durch Gott verwirklicht und zieht diese Gottesgewissheit sowohl aus einem Gottesglauben als auch aus einer Gottes – Erfahrung des Menschen, indem es davon ausgeht: „Wer Gott im Innersten erlebt, erfährt, wie Gott ihn tief im geheimsten Grunde seiner Seele ergreift, sich ihm rettend offenbart und in dieser eigentlichen Wirklichkeit, die der Mensch in dieser „unio mystica“ erlebt, erfährt er Gott (und wir nennen dies ein metaphysisches Geheimnis) als (s)einen persönlichen, lebendigen Gott.

Die Realität dieser Gotteserfahrung kann niemals wissenschaftlich bewiesen werden, sie kann aber auch von niemandem vernunftmäßig widerlegt werden.

Für die Realität dieser Gotteserfahrung und Gottesmacht steht die Persönlichkeit Jesu Christi.

Der Gott, den Christus verkündet, steht über der Materie und über menschlicher Vernunft als ein Schöpfergott, dem der Mensch sein Leben verdankt, Gott ist persönliche Liebe, die über diesem Leben waltet, der Erhabene und Überweltliche, in dessen Schöpfung, deren Teil wir sind, wir leben dürfen und – in Freiheit – leben sollen.

Diesen persönlichen „Gott der Liebe“ verkündet Christus nicht nur mit Worten, sondern er offenbart ihn auch durch seine eigene Persönlichkeit, durch das, was er gewirkt und getan hat, von Gottes Lebensgeist berührt und von Gottes Lebenskräften durchdrungen.

Dieses lebendige Verhältnis zu Gott – in seiner Gottes-Sohnschaft – will Christus uns als höchste, erhabene Wirklichkeit unseres inneren Lebens schenken, eines Lebens, das zwar überweltlich kosmischen Einflüssen preisgegeben ist, den Menschen aber in diesem unendlichen Kräftespiel eine „mystische Liebeseinheit“ mit Gott umfängt.

Daraus zog Christus seine innere Sicherheit, seine Ausstrahlungen, die Kraft für sein Wirken, seines göttlichen Wirkens!

Vermittelt uns dieses Schöpferische in seiner Wirkungsmacht und Schönheit nicht auch die Natur, die nie versiegende „Architektur des Göttlichen“ als Symbol eines nie versiegenden Jenseitigen, unabhängig davon, ob und wie es wahrgenommen wird!

Nie versiegend

Schönheit mindert sich nicht
im Blicke dessen, der sie nicht sieht.
Sie kommt, ein Sinnbild höherer Gestalt,
schweigend, beschwörend – und blüht!


Die Natur als „Spiel des göttlich – schöpferischen Lebens“!
Was es bedeutet, darauf hat Rilke seine Antwort gegeben:


„Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
das ist die Frucht, um die sich alles dreht“.


Also nicht Auflösung, Unordnung, Zerstörung, sondern:

Reifung, Vollkommenheit, Frucht!

Wer in diesem Sinne lebt, hat Maß und Ziel, reift hin zu einer Geborgenheit.

Maß und Ziel

Lebe die Liebe und lerne den Schmerz erfahren.
Du schweigst und reifst zu des Lebens letztem Verstehen:
Wisse zu sterben!

Dass erst Todesreife wahre Lebensreife ist, kommt auch in den Worten des alten Fontane zum Ausdruck:

„Leben, wohl dem, dem es spendet
Freude, Kinder, täglich Brot,
doch das Beste, was es sendet,
ist das Wissen, dass es endet,
ist der Ausgang, ist der Tod“.

Diesen Spruch fand man im Nachlass Theodor Fontanes.

Thomas Mann sieht diese Worte als Vermächtnis: „ In seinen späten im wachsenden Schatten des letzten Rätsels verbrachten Jahren“ – so Thomas Mann – „reifte diese seltene und liebenswürdige Natur dem Empfange der letzten

Antwort des Lebens immer freier, immer weiser entgegen, nicht in dunkler Hoffnung, sondern in der Zuversicht auf ein befreites, schöneres Dasein“, das, wie André Malraux es einmal ausgedrückt hat, „auf einer Wahrheit beruht, die das Universum verbirgt, um die es nicht weiß und die der Mensch allein aufdecken darf“.

Korrespondiert dieser Gedanke nicht mit Goethes Gedanken: „Auf den Menschen warte letztlich – als höchste Steigerung des Lebens bei aller Wehmut über das Vergehen – die Wahrheit der Natur“!

Damit weist Goethe auf ein übergeordnetes Geschehen hin, gleichsam wie ein inneres Singen aus der Schöpfung, die die Klage Schillers: „Ach, dass das Schöne sterben muss“ auflöst in dem Gedanken, dass auch der Tod eine Spielart des Schöpferischen ist, der Tod „ein Kunstgriff der Natur“!

Gedicht

„Ach, dass das Schöne sterben muss“!
Wohin verliert sich seine Spur?
Will uns der leise Todeshauch nicht sagen:
– so wie des Abendrotes letzte Strahlen –
„Zurück zur Wahrheit der Natur“!

Einer Natur, die immer wieder Wunder schafft, aus jenem Größeren, aus der sie hervor geht.

(Schubert-Lied – Im Abendrot –, gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau auf YouTube)

Leises Wunder

Fortgeworfene Blume – feine Fasern deiner zarten Kraft
greifen wie ein mattes Liebeszeichen noch zum Licht.
Sieh, die Fülle, die ins Leben aufstieg,
bezeugt sich noch am Rand des Todes, wenn sie bricht …..

Aus dem tot-erbleichenden Gesicht einer musikalischen Gestalt, Gustav Mahlers „Kindertotenliedern“, weht in Worten und Tönen in aller unendlichen Traurigkeit über das Geschehen auch das einstige unsagbare Glücksgefühl der Liebe, das sich am Schluss verwandelt in ein Zugehörigkeitsgefühl zu jener Welt, zu der – am Ende – die unvergängliche lebende Seele geht … „sie ruh’n, sie ruh’n als wie in der Mutter Haus“!

(Mahler – Kindertotenlieder – gesungen von Benjamin Appl – auf YouTube)

Es schließt sich der Kreis dieses Themas „Leben, Liebe, Tod“ mit zwei Gedichten, die darauf hinweisen wollen, dass der Mensch ein Wesen ist in Zeit und Ewigkeit!

Verbunden

O leises Lied,
was singst du den Toten im Tode?
Sie sind uns fremd geworden.
Klingt es aus ihrer dunklen Tiefe
nicht zurück, wie fernes, blasses Sehnen,
das aus unverstandenen Melodien heimlich riefe?
Wenn sie erwachten, würde ihr staunender Mund
durch nebelverhangene Schatten singen,
unbegreiflich und auserlesen.
Du aber spürtest Vollendung!

Und als zweites Gedicht der Grabspruch Rilkes, dieser geheimnisvolle von ihm selbst verfasste Spruch, über den so viel gerätselt und geschrieben worden ist:

Grabspruch

„Rose, o reiner Widerspruch, Lust
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern“.

Die Wirkungssphäre der Rose ist nicht nur äußerlicher Natur, in ihrem Innern trägt sie als „rosa mystica“ etwas Heiliges in sich, die lichten Gotteskräfte einer Schöpfung, die auch im Tode das zugewogene Lebensgesetz alles Lebendigen bestimmen:

„Der Tod, des Lebens letztes Siegel,
zeigt unermesslich, was durch alle Dinge gehet
und alles wie ein großer Klang durchwehet: Liebe,
die aus ihrem Hauche selbst sich atmet
und aus Allmachts Herrlichkeit vollenden will,
die dich, als ob sie sich vollbringe und verdichte,
aus deinem Herzschlag nimmt.
Und deine Seele wird – aus Anbeginn -
zu „ewigem Gesichte“!