Vergiss die Liebe nicht!Eine Geschichte zur Weihnacht

Philemon lebte mit seinen Eltern in einem großen, stattlichen Hause. Weihnachten wurde - wie in allen Jahren - mit großem Glanze gefeiert. Philemon, der zumeist Phil genannt wurde und manchmal auch Philipp, hatte ein gutes Herz, er war jedermanns Freude. Zur Weihnacht wurde er immer mit kostbaren und teuren Geschenken überschüttet. Vor allem sein Vater hielt das für angemessen und vornehm, weil er es sich leisten konnte, während der innere Klang der Mutter zarter war. Sie sang zur Weihnacht mit Phil die schönen Weihnachtslieder, die er sogar schon auf dem Klavier spielen konnte.

Philemon hatte einen guten Freund, er war sein bester Freund, der jedoch mit seinen Eltern in Armut lebte - ganz in der Nähe - und weil er so arm war und nie ein Geschenk zur Weihnacht bekam, hatte Phil es sich zur Gewohnheit gemacht, ihm jedes Jahr am Weihnachtsabend eines seiner Geschenke hinüber zu bringen, denn sie wohnten ganz nah beieinander. Als wäre er hinauf gehoben in den leuchtenden Sternenhimmel, den einst der Stern von Bethlehem überstrahlte, hatte Philemon diesmal sein schönstes und kostbarste Weihnachtsgeschenk ausgesucht, um es seinem Freund zu bringen - und die Freude darüber leuchtete aus seinen Augen.

Sein Vater jedoch sah das alles ganz anders. Aus seinen Augen blitzte der Zorn, als Phil - sein kostbares Geschenk im Arm – zu seinem Freunde aufbrechen wollte. „Was bekommst du denn dafür von dem“ – rief Phils Vater erbost. „Arme Leute sind ohnehin kein Umgang für dich“!

Philemon fühlte den verworrenen Gedanken, aber auch den Hochmut im Herzen seines Vaters und er entgegnete: „Sicherlich bekomme ich kein Geschenk von meinem Freund, denn er hat ja nichts, was er mir schenken könnte, aber er schenkt mir dennoch etwas - vier Worte nur – und diese Worte lauten: „Vergiss die Liebe nicht“!

Doch der Vater, aufbrausend in seinem Gefühl und blind in seinem blutdurchglühten Hass auf alles Arme, Nutzlose, Schwache, rief seinem Sohne zu „Wenn du nichts Besseres mitbringst, dann brauchst du in den nächsten fünf Jahren überhaupt nicht wieder zu kommen“!

O namenlose Trauer! Der Sich – Selbst - Verlorene! Ist er nicht der Enterbte der metaphysischen Geheimnisse, eines Geheimnisses, wie es sich – in höchstem Sinne – in der Weihnacht den Menschen schenkt - aus Anbeginn! Die Weihnacht, die immer erneut die Hoffnung zu uns trägt, dass vielleicht ein Engel erscheint zur Versöhnung der Menschen! Aber es kam kein Engel aus dem Himmel herab.

Wie in einem bösen Traum, blass und traurig, verließ Philemon mit seinem Geschenk im Arm sein Elternhaus. Die Nacht verging, doch Phil kam nicht nach Hause zurück. Am nächsten Morgen eilten die Eltern zu dem Freund und auch zu Phils anderen Freunden, doch Phil fanden sie nicht!

Eine namenlose Leere erfüllte auf einmal die Eltern, ein würgendes, angstvolles Schweigen stieg so masslos in ihnen auf. Die Behörden wurden eingeschaltet, doch Philemon wurde nicht gefunden! Mit der Wucht einer Ewigkeit erfasste die Eltern nun der Verlust ihres Kindes. Der Vater hatte längst seine ungestümen Worte bereut. Wie sollte er den großen Sturm bezwingen, mit dem sein Innerstes nun rang, er hatte mit seinen bitteren Worten und seinem Unverständnis seinen Sohn aus dem Hause getrieben, doch wie sollte sein verzweifeltes Sehnen nach der Rückkehr seines Sohnes gestillt werden? Wenn wenigstens ein Engel erschiene, der ihn tröstete, – so wie einst ein Engel den Ringenden im Alten Testament zum Troste erschienen war! Doch Engel leben in ihren eigenen Welten und sie hören ihre eigenen himmlischen Melodien. Menschen leben immer nur im Kleinen, in ihren Unvollkommenheiten, die Engel dagegen in der namenlosen Dimension des Ewig – Schönen!

Die Mutter glaubte in ihrem Schmerz nicht mehr an Heilige Nächte und an die Engel. Der für immer Verlorene, sein Anblick und der Klang seiner Stimme waren dahin gegangen, kein Stern schimmerte mild vom Himmel herab, in ihrem Schmerz hörte sie immer nur seine Worte vom letzten Weihnachtsabend, sie sah im Geiste sein blasses Gesicht, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, manchmal nahm sie den kleinen Stofflöwen, sein Lieblingsspielzeug aus Kindertagen, und küsste diesen immer und immer wieder unendlich zart. Doch langsam wurde ihre Hoffnung immer schwächer.

Und es kam wieder eine Weihnacht! Die Glocken läuteten, der Sternenhimmel leuchtete so weit – aber die Eltern saßen stumm und verlassen. Während die ganze Welt frohe Weihnachten feierte, war es für sie ihre einsamste Stunde! Die Mutter erhob ihre Hände wie zu einem Gebet, sie schloss ihre Augenlider, lauschte nach innen, als könne sie die weihnachtliche Freude Philemons darin wieder finden, doch hinter dem Vorhang ihrer Liebe lauschte sie vergebens auf den Jubel ihres Kindes – sie waren allein in ihrem unendlichen Schmerz und kein Engel verkündete ihnen die frohe Botschaft!

Die Eltern verstanden das Leben nicht mehr und auch die folgenden Weihnachten verliefen alle so schmerzhaft – sinnlos. Ihre Herzen erfüllte nur noch eine namenlose Leere.

Doch Philemon kam zurück! Nach fünf Jahren, in der Heiligen Nacht, als die Eltern so innig an Philemon dachten, der Himmel ihnen so fern war und die Erdenschwere lastend aus allen Sternen in ihre Einsamkeit fiel, hörten die Eltern plötzlich ein Geräusch und dann ein Klopfen an ihrer Tür. Fast erschrocken gingen die Eltern gemeinsam zur Tür, um diese zu öffnen.

Vor ihnen stand Philemon!

Gleich einer Woge aus unermesslichem Glück atmeten die Eltern, wie entrückt, die erweiterte Luft eines Wunders, als seien sie alle einer Sterblichkeit enthoben, staunend, selig, als sie ihren verlorenen Sohn endlich wieder in ihre Arme schliessen konnten. Es erschien ihnen wie ein namenloser Gruss des Himmels, der die Fülle seiner Gnade über sie ausgoss und ihre Seelen erbebten vor der Herrlichkeit des göttlichen Lichtes, das immer erneut in der Heiligen Nacht erstrahlt und nun auch so leuchtend ihre Herzen durchstrahlte.

„Fürchtet euch nicht …“ – dieser Gruss des Engels in heiliger Nacht war nun auch für die Eltern zur Wahrheit geworden. O feierlichste Nacht, nie ward heiliger und reiner die Freude geboren, die vollkommene Freude in der Seele von Vater und Mutter. Der gereiften Stunde war es gelungen, als Philemon von ihren Armen umschlungen, die Zaubermacht der elterlichen Geborgenheit spürte.

Und als die Eltern – jeder eine Hand ihres Sohnes in ihren Händen haltend, als wollten sie ihn nie wieder hergeben – in ihrer Dankbarkeit zum Himmel aufblickten, war es, als öffne sich der Himmel und aus ihrem so tief berührten Herzen formten die Lippen der Mutter fast tonlos die Worte:

„Vergiss die Liebe nicht“!

Sie hatten sie erfahren, die ewige Botschaft der „Heiligen Nacht“!