„Weihnacht“– gedeutet aus der geistigen Ordnung der Musik – im Gesange Dietrich Fischer-Dieskaus

 

„Die ungeheure Gewalt der Musik …“

Wie wirkungsvoll ließen sich diese Worte auf eine weihnachtliche Musik übertragen, die gleichsam wie ein „heiliges Präludium“ seit Jahrhunderten diese innere, geistige Schau eines Welten-Ereignisses immer erneut tief in unserer Seele erklingen lässt, das Geschehen, von dem uns die Geburt im „Stalle von Bethlehem“ kündet – im „ewigen Wort“ – und auf erblühend in Tönen gleich „einer Knospe am Zweig der ewigen Musik“.

Wie erhaben erklingen dazu die Worte Goethes:

„Nun aber doch das eigentlich Wunderbarste! Die ungeheure Gewalt der Musik in diesen Tagen“!

Das ungebrochene Leuchten aus der Fülle eines tiefsten Traumes des Weltengeschehens, ein Augenblick der Andersartigkeit, des Vertrauens in Gottes „Eingebung einer heiligen Geburt“, erfasst durch die Allmacht der Musik, erfasst durch die Tiefe einer Kunst, die Rationales und Irrationales wie in einem Doppel- Kanon miteinander verschmilzt.

Ein cantus firmus aus der Ewigkeit!

In Dietrich Fischer-Dieskaus Liedkunst, die es vermag, das „musikalische Ethos in der Musik“ durch eine vollendete, feinfühlige Gestaltung auf eine höchste Stufe zu heben, findet dieses Geistig-Inspirative eines „weihnachtlichen cantus“ seine Erfüllung; eines cantus, der gleichsam diese unendliche Melodie als „lichte Gotteskräfte in der Musik“ zu uns trägt.

So zieht uns schon im ersten Lied – einer Zusammenstellung von „Weihnachts – Liedern“ durch den Sänger – das Lied „Schlaf wohl, du Himmelsknabe du …“ in seinen Bann durch eine empfindsame, träumerische Zartheit in der Stimme des Sängers, die dieses Lied – gleichsam wie mit einem sanften Goldton – umhüllt, als leuchte aus den verströmenden Tönen eine zarte Verklärung dieses innig erfühlten Schlafes des himmlischen Kindes!

(Text und Komposition: C.F. Daniel Schubart)

Und wie aus einer heiligen Empfindung ertönt das zweite Lied „Es senkt sich hehr und leise die heil’ge Nacht herab …“, so als seien Christentum und deutsche Seelenlandschaft eins geworden, ein musikalischer Kosmos, der Überirdisches zu Melodie werden lässt, das Erscheinen des Weltenheilands wie eine traumhaft visionäre Schilderung des Ewigen, das in dieser „Heiligen Nacht“ Friede und Trost verleiht, verkündet durch die Worte des Engels: „Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren“!

(Text: Heinrich Carsten – Komposition: Carl Reinecke)

Im „Cantique de Noel“ durchflutet ein wundervoller Gefühlstrom dieses melodisch erklingende Lied.

Der reine, sehnsuchtsvolle Gesang findet seinen Anklang an die Stimmung einer gleichsam außerirdischen Schönheit, die den gesamten Stimmungscharakter dieses Liedes bestimmt und ihm zugleich eine wunderbare, hohe und feierliche Klangaura beschert.

(Text: Arrangiert v. Hans Schmidt – Komposition: Adolphe Adam)

In dem Lied „Ich steh an deiner Krippen hier, O Jesu, du mein Leben …“ bekundet sich ein reines und tiefes religiöses Vertrauen beim Anblick des göttlichen Kindes –  zart wie eine Segnung des Himmels – die gilt es zu erfühlen – die Stimme gewinnt aus dieser Andacht eine bezwingende Echtheit in jedem Wort, in jedem Ton in jedem Atemzug, die sich in der Anbetung vor dem Kind in der Krippe offenbart.

(Text: Paul Gerhardt – Komposition: Friedrich Mergner)

„Der Hirten Lied am Krippelein – Schlaf wohl, du Himmelsknabe …“ trägt zu uns die Andacht der Hirten und – wie eine zarte, wehende Empfindung – die Seelenerfahrung und Liebe der Mutter Gottes, die gleichsam die Andacht aller Menschen zu der ihren empor führt.

Wie tief berührend drückt sich in der Stimme des Sängers ein Zugang zu den geistigen Hintergründen des Textes und der Musik aus und es tritt im Gesang noch etwas hinzu, dass sich nicht allein aus den Noten ablesen lässt, eine geistig – musikalische Transzendenz, die dieses Lied durchweht, die uns gleichsam von einem himmlischen Ziel kündet, ein Ziel bis hin zu einem Verwandelten, das später Leben und Tod des Kindes überhöhen wird.

(Text: C.F. Daniel Schubart – Komposition: Carl Loewe)

Das Lied „An das Christkind – Nun zieht mit seinem goldenen Schein das liebe Christkind wieder ein …“ bringt uns die Kinderseligkeit einer Weihnacht zurück, die aus dem Brauchtum des Weihnachtsfestes und seiner frohen Seelenverfassung aufleuchtet.

Hier ist weihnachtliche Kinderfreude zu Musik geworden und der Sänger nimmt diese frohe, lobpreisende Schwingung auf und macht die Dimension der Weihnacht damit herzinniger, leuchtender wie die Erinnerung an einen „goldenen Kindertraum“!

(Text: Hella Karstein – Komposition: Engelbert Humperdinck)

„Uns ist geboren ein Kindelein …“ – ein Lied, wie von einer heiligen Naturstimmung übergossen – führt zu einer Gottversunkenheit und öffnet gleichsam den Anblick auf einen Weltenheiland, der alle Gegensätze überbrücken kann, der die Welt zu einer „Meisterschöpfung aus Liebe“ aufzubauen vermag, wie die gotischen Bögen einer Kathedrale, in der sich polyphone Klänge wie eine „himmlische Doppelfuge“ entfalten möchten.

Dieses große Espressivo wird auch im Gesang Ereignis, das der Sänger – gleichsam wie die großen Formgestalter der Kathedralen – aus dieser geistigen Dimension musikalisch „auferbaut“.

(Text: anonym – Komposition: Max Reger)

In „Christkindleins Wiegenlied – Lasst uns das Kindlein wiegen …“ wird das Erlebnis der hohen Überlieferung – die Geburt Christi – ausgedrückt in der mehrfachen Wiederholung der Worte – gleichsam wie aus einer sanften Anbetung auf ertönend –

„O Jesulein süß … O Jesulein süß …“, gesungene Worte, die der Klang eines tief empfundenen Espressivo durchweht, der die Grundstimmung des Gesanges bestimmt, doch durchweht den Gesang zugleich die Verinnerlichung eines den Text überwölbenden musikalischen Ebenmasses, das dem Lied seine Ausgewogenheit und Schönheit gibt.

(Text: anonym – Komposition: Max Reger)

Das Lied „Maria am Rosenstrauch – Maria sitzt am Rosenbusch …“ zeigt im Wiegen des Jesusknaben das Abbild eines irdischen und metaphysischen Geschehens zugleich.

Engel erscheinen in feierlich schwebender Zartheit wie geheimnisvolle, jenseitige Boten, um im Blumenduft den Schlaf des Kindes zu behüten.

Musikalisch durchweht diese Engelsvision gleichsam ein holdes Rauschen und Singen.

Aus dieser seelenvollen Stimmung atmet das Lied gleichsam eine „franziskanische Milde“, und so atmet und ertönt auch die Stimme des Sängers, zart verhauchend, wie ein Hinausträumen in das Göttliche, als wolle sie uns kundtun, man müsse an die Wundergestalten des himmlischen Kindes und der Engel glauben.

(Text: Ernst Ludwig Schellenberg – Komposition: Max Reger)

Im Lied „Marien Kind im Stalle – weint im kalten Wind … – und auch Maria weint und ist doch froh …“ – ertönt leidvolle Erfahrung der Armut im kalten Wind des Stalles, doch zugleich erstrahlt eine metaphysische Freude der Mutter in diesem armen Stalle, die in Demut um die geheiligten Spuren des Schöpfers aller Dinge weiß, sie spürt tief in ihrer Seele den hohen Sinn, in den sie aufgenommen ward.

Der Sänger weiß um das unzerreißbare Band zum Göttlichen, er weiß auch um das Band der beiden Herzen von Mutter und Kind und so auch ertönt in seinem Gesang diese „Magie des Herzens“, auferblühend aus den feinsten Schwingungen in seiner Stimme.

(Text: Lulu von Strauss und Torney – Komposition: Armin Knab)

„Die Beweglichste Musika – O seht das liebe Kind, wie es so süße weint …“ drückt die Sehnsucht aus, heimzufinden zu diesem aus Ewigkeiten vorher bestimmten Kinde, etwas von seinem Mysterium aufzunehmen und sich in diesem Einklang die Hoffnung ausdrückt, dass es „vor allem Ton, Gott wohl gefallen könne“!

Auch diesem Lied verleiht der Sänger eine feinste, melodische Charakterisierung.

(Text: Angelus Silesius – Komposition: Joseph Haas)

Das Lied „Zu uns komme dein Reich – Das sind goldene Himmelspfade, die du Gott hernieder steigst …“ lässt die überrationale Wahrheit einer göttlichen Herrlichkeit aufleuchten, die wie ein seelischer Archetypus in uns lebt.

Diesseitiges vermischt sich mit der Symboltiefe eines Jenseitigen und der musikalische Charakter des Liedes trägt etwas Heroisches in sich, musikalische Inspiration überträgt sich in die Sprache von Wohllaut und Klang und mündet in die Bitte: „Schaff in mir ein reines Herz, komm, ach komme niederwärts, komm auf goldenem Himmelspfade“.

Die Stimme erhebt sich zu der flehentlichen Bitte, Verklärung in der majestätischen Herrlichkeit des Göttlichen zu erfahren.

(Text: Peter Cornelius – Komposition: Peter Cornelius)

„Der Heilige Nikolaus – Ich bin der heilige Nikolaus, ich komm herab vom Himmelshaus …“ zeigt auf:

Mythen und märchenhafte Figuren, wie auch der Nikolaus, scheinen über allem verstandesmäßigen Begreifen zu stehen, denn sie fußen auf einer Weltbetrachtung, die mit einer rationalen Wahrheit nicht zu erfassen ist, es scheint, als lebten diese Figuren aus einem höheren Abbild in unserer Seele, in der sich übersinnliche Dinge aussprechen, in denen diese seelischen Archetypen ihre geheimnisvolle Macht entfalten.

Es ist, als müsse man gleichsam erst eine Himmelsleiter empor steigen, um zu dem überirdischen Reich der Wundergestalten zu gelangen, die nur unser Herz und unser Gemüt zu erkennen vermögen, alle diese Wundergestalten von Mythos und Märchen, mit denen unsere Kinderwelt einen ewigen Bund geschlossen hat, der in unseren Lebenserinnerungen Spuren glücklicher Momente, aber auch das Erschauern über eine dämonische Hexengestalt hinterlassen hat.

Es ist eine irrationale und dennoch originäre Wirklichkeit, die unverlierbar in unser Leben eingegangen ist. Da kommen Saiten zum Erklingen, die mytische Hintergründe von Über- und Unterwelt durchdringen und miteinander vermengen und wenn der „Heilige Nikolaus“ singt: „Und ein Jahrtausend bin ich alt …“ leuchtet daraus die ewige Macht eines sinnlich Natürlichen und zugleich Übernatürlich – Unbegreiflichen.

Diese berückende Vision eines märchenhaften Bildes drückt der Sänger mit einer „Zauberstimme“ aus, die kongenial diese märchenhaft – erfühlende Realität erfasst, die Realität des Geheimnisses einer „Zauberwelt“ zwischen dem irdischen – und dem Himmelreich.

(Text: Josef Georg Oberkofler – Komposition: Wilhelm Weismann)

In der „Weihnachtskantilene – Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr …“ wird die Weihnachtsgeschichte von ihrem Anbeginn geschildert, die „Schätzung von Maria und Joseph“, die „Geburt des himmlischen Kindes“, das „Erscheinen des Engels Gottes“ bei den „Hirten auf dem Felde“, der Besuch der „Weisen aus dem Morgenlande“ – und die Worte – aufleuchtend wie eine sakrale Tondichtung: – „Er ist der Herr Christ, unser Gott, er will uns führ’n aus aller Not, er will unser Heiland selber sein, von allen Sünden machen rein …“ – werden gleichsam wie ein Lauschen in die Ewigkeit auf die Melodie: „Vom Himmel hoch, da komm ich her …“ gesungen und dadurch – wie eine metaphysische Steigerung – zur Höhe eines transzendenten Geheimnisses gehoben.

Auch die Erscheinung des Engels entwickelt sich musikalisch aus den Tönen dieses Weihnachtsliedes.

Diese Verflochtenheit der hehren Melodie in das Geschehen gibt der Erscheinungswelt der Heiligen Nacht gleichsam ein überirdisches Leuchten, der Komponist deutet ein Weltereignis in Klängen durch eine außerirdisch anmutende, welten – fromme Vision in Tönen.

(Text: Matthias Claudius – Komposition: Hermann Reutter)

Es mutet an – gleich einem Zauber – wie der Sänger die einzelnen Geschehnisse in eine musikalisch aufleuchtende Sphäre überträgt, auf eine so magische Weise, als wolle er uns lehren, mit den Ohren das Leuchten der Heiligen Nacht nicht nur zu hören, sondern gleichsam auch zu sehen, als könne alles Sichtbare, Erlebbare zugleich in Tönen auf erklingen, um das Menschliche in der Welt mit dem Göttlichen zu verbinden.

Als spüre man den Hauch einer anderen, überlegenen Wirklichkeit, ist die Kunst dieses Sängers immer von höchster, reinster Ausstrahlungskraft, die im vergeistigten Gesang dem vergänglichen Augenblicke Flügel der Ewigkeit verleiht.

Das Geheimnis einer – unsere Seele berührenden – Ewigkeit, wie sie sich so tief auch in den Kompositionen J. S. Bachs offenbart, in seinem „Weihnachtsoratorium“, in der das ewig Erhebende von Musik und religiösem Gefühl in jene höhere Einheit eingeht, die uns die „Heilige Nacht“ offenbarte, als aus ihrem Lichte die göttliche „Ebenbildlichkeit des Menschensohnes“ aufleuchtete!


Diese Weihnachtslieder – gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau – können angehört werden auf YouTube.